Sonntag, 15. Mai 2016

[ #FreeBook ] Streitfall Computerspiele: Computerspiele zwischen kultureller Bildung, Kunstfreiheit und Jugendschutz

Immer nach unerklärlich erscheinenden Gewalttaten, wie sie etwa Amokläufe an Schulen sind, nimmt die Diskussion über gewaltverherrlichende Computerspiele keinen Abbruch. Man kommt nicht umhin diese Diskussion als Scheindiskussion zu qualifizieren.

Die Gesellschaft kann und vor allem darf sich nicht auf Computerspiele ausreden. Das ist nicht nur eine astreine Schutzbehauptung, sondern prinzipiell auch falsch und Sündenbocksuche: Denn für die meisten Jugendlichen sind diese Computerspiele nur Geschicklichkeitsspiele, bei denen der Faktor Aggression weder im Vordergrund steht noch den Spielreiz ausmacht. Millionen Jugendliche spielen derartige Spiele und laufen auch nicht Amok.

Mensch-Ärgere-Dich-Nicht. Nach dieser Logik ist jedes Mensch-Ärgere-Dich-Nicht aggressiv und gewaltverherrlichend. Kein Zweifel, es gibt auch andere Spiele, aber diese sind nun eben gesellschaftliche Realität, auch technologische Realität. Spielt da neben Verdrängung, Ablenkung und Sündenbocktheorie nicht auch ein bisschen Technologie- und Fortschrittsfreindlichkeit mit, ein bisschen der Mythos von der "guten alten Zeit" davor? Ein Blick in die Geschichtsbücher sollte uns vor solchen Irrationalitäten eigentlich bewahren können.

Computerspiele gehören laut Olaf Zimmermann, dem Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, "wie das Fernsehen, Pop- und Schlagermusik, der Unterhaltungsfilm oder die Unterhaltungsliteratur selbstverständlich zum kulturellen Leben". Der deutsche Kulturrat stieg Anfang 2007 in die zum Teil recht unsachlich geführte "Killerspiel"-Diskussion ein, rief die Politik zur Mäßigung auf und forderte Kunstfreiheit statt Verbote für Computer- und Videospiele. Wer gute Spiele haben wolle, müsse diese auch fördern, so Olaf Zimmermann in Richtung Politik. Nach dem Vorbild der Filmförderung könnte hier sehr wohl lenkend eingegriffen werden, ohne den Zeigefinger bemühen zu müssen.

Das vom Deutschen Kulturrat veröffentlichte Buch "Streitfall Computerspiele: Computerspiele zwischen kultureller Bildung, Kunstfreiheit und Jugendschutz" (ISBN: 978-3-934868-13-7) kann entweder online über den Kulturrat-Shop oder den Buchhandel bestellt werden. Herausgeber sind Olaf Zimmermann und Theo Geißler. Ebenso steht es kostenlos als pdf-Datei (Link unten) zur Verfügung.

Das Buch versammelt auf 140 Seiten Beiträge von 46 Autorinnen und Autoren, die zum Teil sehr unterschiedliche Positionen vertreten. Darunter auch die in der "Killerspiel"-Diskussion hervorstechenden Hardliner wie der ehemalige bayerische Ministerpräsident (und vormals Innenminister) Günther Beckstein und Christian Pfeiffer, der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachen, die beide stärkere Kontrollen und neue strafrechtliche Bestimmungen für Computerspiele fordern. Den bestehenden gesetzlichen Rahmen ausschöpfen wollen hingegen Armin Laschet, Minister für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW, und Fritz Rudolf Körper, Stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

Aus Sicht der Jugendforschung wird von Wilfried Kaminski, Professor für Kulturpädagogik an der Fachhochschule Köln, und Lothar Mikos, Professor für Fernseh- und Medienwissenschaft an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf", klargestellt, dass Kinder und Jugendliche zwischen Spiel und Realität sehr wohl unterscheiden können. Laut Wolfgang Zacharias, dem Stellvertretenden Vorsitzenden der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, sei zudem in der kulturellen Bildung eine Auseinandersetzung mit Computerspielen unumgänglich, um den Anschluss an die Jugend nicht zu verlieren.

Das Buch will und kann keine abschließende Antwort auf die Frage geben, ob Computerspiele ein “Kulturgut” sind. Videospiele sind ein wesentlicher Bereich der Kulturwirtschaft. Zwar seien sie nicht der Hochkultur (manche fortschrittliche Kultur will sich der übrigens ebenso nicht zuschlagen lassen) zuzurechnen, ebenso wenig aber nur Teil der Jugendkultur. Die Auseinandersetzung mit Computerspielen sei aber unumgänglich, damit der Anschluss an die Jugend nicht verloren gehe.

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